Von unseren KursteilnehmerInnen hören wir immer wieder, dass sie die skandinavischen Krimis gern mögen. Anlässlich unserer Krimi-Themenwoche in den Social Media haben wir uns im Podcast mit der schwedischen Krimi-Autorin Lina Bengtsdotter unterhalten. Hier im Blog könnt ihr eine Zusammenfassung des schwedischen Interviews lesen.
Lina, deine Bücher sind in Deutschland und vielen anderen Ländern sehr populär. Wann hast du mit dem Schreiben begonnen?
Ich habe schon, als ich sehr sehr klein war, Geschichten erfunden. Vielleicht als ich so vier oder fünf Jahre alt war. Ich habe es geliebt, mir für meine kleinen Geschwister und die Nachbarskinder gruselige Geschichten auszudenken. Wir haben oft beieinander übernachtet – irgendwann durfte ich nicht mehr dabei sein, weil ich zu gruselige Geschichten erzählt habe. Zum Beispiel von Mädchen, die in dem Fluss in unserer Nähe ertrunken waren, und deren Hilferufe man noch immer hören könne. Ich habe mich allerdings genauso gefürchtet.
Warum, glaubst du, sind skandinavische Krimis so beliebt in Europa? Macht ihr etwas anders?
Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Ich fände eine vergleichende Analyse sehr spannend. Ihr Deutschen habt ja eine Vorliebe für die schwedische Natur mit ihren Bergen, dem Schnee und so weiter. Vielleicht liegt das Reizvolle in der Umgebung? Ich denke nicht, dass wir besser schreiben, als andere KrimiautorInnen. Also vielleicht liegt etwas Magisches in der Umgebung. Aber das ist nur eine Theorie. Dazu kommt, dass Schweden im Gegensatz zu anderen Ländern lange von Kriegen und großen Auseinandersetzungen verschont war. Irgendwie scheinen wir aber ein seltsames Bedürfnis danach zu haben und schreiben deshalb Krimis.
Wie, wann und wo schreibst du am besten? Hast du Routinen?
Ich wünschte, ich könnte sagen, ich würde jeden Tag acht Stunden schreiben – aber das mache ich nicht. Ich kann nicht so lang still sitzen, sondern lasse mich dann rasch ablenken. Außerdem habe ich Kinder, die ich von der Schule und so weiter abholen muss. Ich arbeite meistens morgens, ehe die Welt sich aufdrängt. Ich schreibe ein paar Stunden am Vormittag und ärgere mich dann den Rest des Tages, dass ich nicht länger geschrieben habe. Ich plane außerdem nicht so viel, sondern lasse mich beim Schreiben selbst gern überraschen.
Woher kommt deine Inspiration?
Hauptsächlich sind es Schicksale, die mich bewegen, von Leuten aus meinem Heimatort zum Beispiel. Und, obwohl ich ziemlich viel rede, höre ich doch auch sehr viel zu. Auch durch meine Arbeit als Lehrerin habe ich sehr viele Ideen bekommen. Beispielsweise habe ich Leute aus vielen unterschiedlichen Hintergründen getroffen. Ich lese viel, treffe viele Leute – so kommt das eine zum anderen.
Du warst Lehrerin für Psychologie. Hilft dir das, greifbare und glaubwürdige Charaktere zu schaffen?
Das hoffe ich! Ich habe mich schon früh dafür interessiert, warum Menschen so handeln wie sie es tun. Was treibt sie an? Durch die Auseinandersetzung mit Psychologie habe ich aber vor allem gelernt, wie wenig man sich selbst und andere verstehen kann. Wir sind wie ein Universum, je mehr ich lerne, desto weniger verstehe ich. Aber ich setze mich nicht hin und nehme mir vor, über ein spezielles psychologisches Thema zu schreiben. Das ist mehr Hintergrundwissen.
Der Schauplatz deiner Krimis ist Gullspång, ein kleines Dorf in Westschweden, wo du auch aufgewachsen bist. Was hat deine Familie darüber gedacht? Hat es ihnen gefallen oder waren sie skeptisch?
Beides. Ich hatte zuerst einen fiktiven Namen gewählt, aber dann hieß es, ein richtiger Name wäre besser. Gullspång ist so klein, das kennt niemand, also auch in Schweden nicht. Es gab tatsächlich einen schwedischen Journalisten, der damals schrieb, mir sei es so gut gelungen, diesem fiktiven Ort Leben einzuhauchen. Das war schon lustig. Aber ja, die meisten finden es toll, dass Gullspång jetzt etwas bekannter wird.
Sind schon Leute nach Gullspång gereist, die deine Bücher gelesen haben?
Meine Mutter wartet eigentlich nur darauf. Presseleute aus Spanien und Italien sind schon einmal zu Besuch gewesen und haben bei meiner Mutter Mittag gegessen, weil es kein Restaurant gab. Aber ansonsten ist Gullspång eher ein Ort, an dem man vorbeifährt. Aber manchmal schicken mir Leute Fotos vom Ortsschild oder einer Brücker oder so.
Hast du schwedische Lieblingskollegen? Und sprecht ihr über Ideen oder behältst du die lieber für dich?
Mir fällt es schwer, Dinge für mich zu behalten. Also, ja, wir sprechen schon darüber. Und die Community ist so unglaublich nett und offenherzig. Sie haben mich damals sehr willkommen geheißen, als ich noch Neuling war. Wir sind keine Konkurrenten, sondern Kollegen. Wir motivieren uns gegenseitig oder weinen gemeinsam über schlechte Rezensionen, helfen uns gegenseitig mit unseren Büchern. Das ist sehr bereichernd. Viveca Sten, Camilla Läckberg, Christoffer Carlsson – es sind so viele. Dafür bin ich sehr dankbar.
Warum hast du dich für das Schreiben von Krimis entschieden? War das immer schon dein Traum?
Eigentlich wollte ich immer Lyrik und Kurzgeschichten schreiben. Das Problem ist nur, dass niemand Lyrik oder Kurzgeschichten lesen will. Deshalb habe ich einen Roman geschrieben. Den habe ich an Verlage geschickt und bekam auch gutes Feedback, aber es ging irgendwie nicht weiter. Das machte mich sehr traurig. Als ich zuhause in Gullspång war, fragte mich eine Freundin, wie es mit meiner Autorenkarriere liefe. Ich erzählte ihr, wie es war und sie sagte: „Dann schreib einen verdammten Krimi! Das wollen die Leute lesen.“
Ich hatte Einwände, Krimi sei gar nicht mein Genre, aber sie hat mir ein paar Tipps gegeben, was ich machen könnte, und sie sagte: „Nimm doch das, was vor deinen Füßen liegt. Und mach’s JETZT!“
Bei einem Spaziergang sah ich dann plötzlich ein Mädchen vor mir, dem ich gedanklich folgte – und so kam die Geschichte von Annabelle zustande.
War die Charlie Lager Reihe von Anfang an geplant?
Nein. Aber als ich den ersten Teil zum Verlag geschickt hatte, ging es sehr schnell. Mein Agent sagte mir, sie wollen einen Deal über drei Bücher. Also habe ich schnell ein paar Exposés geschrieben. Ich fand’s toll, dass ich der Figur noch länger folgen konnte.
Was braucht ein guter Krimi?
Für mich sind die Charaktere besonders wichtig. Sie müssen mich interessieren. Ich will in die Welt eintauchen können und will die Stimmen hören können. Dialoge sind wichtig, und vor allem auch ein gutes Tempo. Glaubwürdigkeit, keine Klischees, nicht zu glattgebügelt – aber das ist meine persönliche Sicht.
Was haben deine KollegInnen und SchülerInnen gesagt, als deine Bücher herauskamen?
Die haben sich sehr gefreut. Meinen KollegInnen hatten das Manuskript gelesen, und die SchülerInnen waren ein bisschen wie Kinder, die sich für ihre Mama freuen. Das war sehr süß. Vor allem, weil sie wussten, dass mein Laptop einmal gestohlen wurde, auf dem mein ganzes Manuskript war …
Was? Wie viele Seiten hattest du schon geschrieben?
… Ja, also 300 Seiten waren weg. – Aber meine SchülerInnen waren super. Sie haben mich ermutigt und gesagt, dass ich es auf jeden Fall schaffen würde.
Deine Bücher wurden in verschiedene Sprachen übersetzt. Liest du manchmal die Übersetzungen?
Ja. Ich will sogar meine Bücher auf Deutsch lesen. Ich habe schon ein bisschen mit einer App gelernt. Wenn man so lange mit einem Buch gearbeitet hat, ist man ja richtig drin in der Geschichte, und dann eignet sich das gut zum Lernen. Man kann die sprachlichen Lücken recht gut auffüllen. Aber auf Deutsch sind die Bücher so dick!
Auf Französisch habe ich auch schon ein bisschen gelesen. Da hat mich vor allem interessiert, wie die Übersetzerin gearbeitet hat. Und dann ist es natürlich auch spannend, in den norwegischen oder dänischen Ausgaben zu lesen. Speziell, um zu sehen, wie Slang-Wörter übersetzt wurden und so.
Vielen Dank, Lina, für das ausführliche Interview!
In unserem Podcast könnt ihr euch das vollständige Interview auf Schwedisch anhören.